Auf den Hund gekommen

Nach der 68. Berlinale: Filmempfehlungen für die kommenden Monate und die Frage, wie es mit dem Festival weitergehen soll, dessen aktuelle Form zuletzt immer stärker in die Kritik geraten ist

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Don‘t Worry: Filme von großen Namen wie Gus van Sants „Don‘t Worry,He Won’t Get Far On Foot“ feierten diesmal ihre Premiere nicht nur außer Konkurrenz, sondern auch zum Teil im offiziellem Wettbewerb. (Foto: Berlinale 2018)

Pragmatisch ist die diesjährige Berlinale im Vergleich zum vergangenen Jahr in vielfacher Hinsicht als Erfolg zu werten. Mit Wes Anderson und seinem neuen Film Atari – Isles Of Dogs hatte das Festival in diesem Jahr nicht nur ein prominentes und qualitativ gelungenes Aushängeschild als Eröffnungsfilm, auch in weiterer Folge war es den Berliner Filmfestspielen diesmal gelungen, neue Filme von großen Namen wie Gus van Sant (Don‘t Worry,He Won’t Get Far On Foot) und Steven Soderbergh (Unsane) zu gewinnen. Es ist grundsätzlich als Zeichen der Anerkennung zu werten, dass diese Filme nicht nur ihre Premiere außer Konkurrenz in Berlin gefeiert haben, sondern sich in Teilen auch dem offiziellem Wettbewerb gestellt haben, stärkt dies doch die Anerkennung des goldenen Bären als begehrenswerte Trophäe im allgemeinen Ringen der großen europäischen Filmfestivals um Aufmerksamkeit und Renommee.

Ein in diesem Kontext weiteres positiv zu sehendes Aushängeschild ist die Auszeichnung des Charakterdarstellers Willem Dafoe mit dem Ehrenbären und der damit verbundenen Film-Sektion Hommage, auch wenn der vergangene Jahrgang hier letztlich einen spannenderen Akzent gesetzt hat, als er mit der italienischen Kostümbildnerin Milena Canonero gekonnt aufgezeigt hat, welche Protagonisten neben den üblichen Verdächtigen wesentlich für die Filmproduktion sind.

Endlich also wieder große Namen auf dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz, und Wes Anderson ließ es sich nicht nehmen, sogar im wortwörtlichen Sinne für den Erfolg seines Films vor der offiziellen Premiere auf eben diesem Teppich mitsamt der großartigen Entourage an Schauspielern und einer japanischen Trommelgruppe zu trommeln, darunter Publikumslieblinge wie Bill Murray oder Jeff Goldblum.

Doch wenn man einen genaueren Blick auf das diesjährige Festival und seine Filme wirft, so wird deutlich, dass es etliche Baustellen gibt, die endlich in Angriff genommen werden müssen. Im Vorfeld des Festivals ist dies sicherlich am deutlichsten anhand eines offenen Briefes deutscher Filmschaffender geworden, die eine reflektierte und gut abgewägte Neubesetzung der bald frei werdenden Position des Festivaldirektors Dieter Kosslick eingefordert haben. Hat Kosslick in seinen Jahren eine ökonomische Entwicklung vorangetrieben, die durchaus erfolgreich gewesen ist, so ist das künstlerische Konzept des Festivals immer undeutlicher geworden. Das Renommee des politischen und kritischen Filmfestivals, das die Berlinale in der Vorwendezeit über Jahrzehnte nicht zuletzt auch durch seine Lokalisierung im geteilten Berlin aufgebaut hat, ist in der Ägide Kosslick reichlich verwässert bzw. in Hinsicht auf das Maskottchen des Eisbären auf den diesjährigen Festivalplakaten dahingeschmolzen.

Da ist es letztlich nur ein schwacher Trost, wenn der diesjährige Wettbewerbspräsident Tom Tykwer nicht müde wird zu betonen, dass die Berlinale ein Fest für die ganze Stadt sei und die Zuschauerzahlen letztlich in dieser Hinsicht für sich sprechen. Das tun sie letztlich nur zum Teil und in einem eingeschränkten Feld. Man muss zwangsläufig ein gewisses künstlerisches Level repräsentieren, um in der Filmwelt als relevant genug angesehen zu werden, dass Filmschaffende aufsehenerregende Filme nach Berlin bringen, um sie dort erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und so besonders die eingangs genannten Namen geklungen haben, so nicht aufsehenerregend sind bedauerlicherweise letztlich die Filme gewesen, die sie für Berlin ins Gepäck gepackt hatten.

Eine weitere kleine Enttäuschung ist in filmischer Hinsicht letztlich auch die Sektion Panorama gewesen, die in diesem Jahr bereits den Führungswechsel vollzogen hat, der, wie bereits erwähnt, an der Festivalspitze im übernächsten Jahr ansteht. Blieben die Spielfilme hier bedauerlicherweise recht profillos, so war die eigentliche Enttäuschung insbesondere bei den Dokumentationen in dieser Sektion verortet. Klangen diese im Vorfeld außerordentlich spannend, verloren sie oftmals ihren Glanz in der Sichtung. Für wahre Überraschungen, wenn auch nur in kleiner Skalierung, hätte somit letztlich wieder nur die Sektion Forum herhalten können, auch wenn dem Finden eines vielversprechenden Films in dieser Sektion durchaus ein gewisser Lotterie-Charakter innewohnt.

All diesen Sorgen und Einschränkungen zum Trotz gab es natürlich auch in diesem Jahr einige interessante und sehenswerte Produktionen für die kommenden Monate, die im Folgenden noch einmal näher vorgestellt werden sollen.

Impressionen aus dem Wettbewerb

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Isles Of Dogs: Unterhaltsam, wunderschön und damit ein würdiger Eröffnungsfilm: „Atari – Isles Of Dogs“ von Wes Anderson. (Foto: Berlinale 2018)

Beginnen soll den Reigen der Film, der auch die diesjährige Berlinale eröffnet hat. Wes Anderson, der bereits vor vier Jahren die Berlinale mit dem großartigen Grand Budapest Hotel eröffnet hatte (damals noch außer Konkurrenz), warf dieses Mal ganz offiziell seinen Hut in den Ring hinsichtlich des Wettbewerbs um den goldenen Bären. Atari – Isles Of Dogs ist wie bereits Andersons Der fantastische Mr. Fox in seiner Machart ein klassischer Animationsfilm. Sämtliche Figuren und Spielorte im Film wurden aufwändig handwerklich hergestellt, digitale Mechaniken allein dafür genutzt, um Figuren und Hintergründe im Falle verschiedener Größenrelationen der Modelle in dasselbe Bild setzen zu können.

Auf inhaltlicher Ebene funktioniert Andersons Atari – Isles Of Dogs mit den bekannten Stärken des Regisseurs. Absurde Figurenkonstellationen, ein wunderschön inszeniertes fiktionalisiertes japanisches Setting und wunderbar abgedrehte und doch immer liebevoll gestaltete Charaktere, gepaart mit dem letztlichen Sieg des Guten, das immer seinen Weg findet und in dieser Form erst in Grand Budapest Hotel erstmals leichte Risse bekommen hat. Eine Prise Lakonie darf genauso wenig fehlen wie das goldrichtige Gefühl für Timing und stimmungsvolle und selbstverständliche Inszenierung, egal wie absurd das Gesehene gerade sein mag. Es ist sicherlich genau diese Selbstverständlichkeit, die eine der großen Stärken Andersons ist.

Was dieser Film jedoch nicht tut, ist neben den erläuterten Stilmitteln ernsthaft eine politische Botschaft zu beanspruchen. Diesem Aspekt muss man im gegebenen Fall durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit zugestehen, denn es geht in Andersons Setting eines fiktionalisierten Japans um Diktaturen, die dezidierte Diskriminierung und Deportierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, das bewusste gewählte Bild des Konzentrationslagers als dramaturgisches Element und die Rolle der Presse und ihrer gesellschaftlichen Funktion hinsichtlich der Aufdeckung von Missständen. All diese Elemente sind am Ende jedoch nur zu dem Zweck gewählt, eine Geschichte über Freundschaft und Verbundenheit in schwierigen Zeiten zu inszenieren, und es fehlt die atmosphärische Dunkelheit, die in diesen Momenten bei Grand Budapest Hotel zumindest noch teilweise aufschien und das Ende dann vollends bedeckte. Stattdessen haben diese Punkte, die die Figuren in Atari – Isles Of Dogs zu überwinden haben, allein den Charakter eines dramaturgischen Hindernis-Parcours, der erfolgreich absolviert werden muss, um am Ende zusammenzukommen. Man mag dies dem Regisseur grundsätzlich hinsichtlich seines mittlerweile bekannten Regiestils nicht übel nehmen, unter der Berücksichtigung der Tatsache jedoch, dass der Film der Eröffnungsfilm der Berlinale war und auch in deren offiziellen Wettbewerb startete, schien es unvermeidlich, dass die Chancen auf den goldenen Bären sicherlich gleich zu Beginn stark eingeschränkt waren. Geblieben ist ein unterhaltsamer und wunderschön anzusehender Film in bester Tradition Wes Andersons, der trotzdem eine klare Empfehlung verdient hat.

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In den Gängen: Thomas Stubers „In den Gängen“, eine Adaption aus Clemens Meyers Kurzgeschichtenband „Die Nacht, die Lichter“ eignet sich leider nur bedingt für die große Leinwand. (Foto: Berlinale 2018)

Thomas Stubers In den Gängen, die Verfilmung einer Kurzgeschichte aus Clemens Meyers Kurzgeschichtenband „Die Nacht, die Lichter“ wusste im Gegensatz hierzu bedauerlicherweise nicht nur im Wettbewerb nicht zu überzeugen. Auch ein vielversprechender Cast mit Franz Rogowski, Sandra Hüller und Peter Kurth vermochte es letztlich nicht, dem Zuschauer genau das im Film zu eröffnen, was Stuber an der ursprünglichen Kurzgeschichte so fasziniert hat. Schafft es Clemens Meyer in seiner Erzählung von nur knapp 30 Seiten, eine kleine aber konsistente Welt zu erschaffen, die dem Leser dennoch große Räume für eigene Gedanken einräumt, so stellt sich genau dieses Gefühl in der Verfilmung bedauerlicherweise nicht ein. In Folge ist man als Zuschauer an eine Geschichte gebunden, die für sich genommen nicht die Größe hat, eine Kinoleinwand zu füllen.

Gerade hinsichtlich des Filmbeginns muss man sich hierbei fragen, ob Thomas Stuber bei der Verfilmung der ursprünglichen Geschichte um einen jungen Mann, der sein Leben neu in den Gängen eines Großhandelsmarktes beginnen will, nicht den Fehler gemacht hat, sich zu sehr an einer werknahen Umsetzung des Stoffes zu orientieren, die nah an den Charakteren geführt wird, und viele potenzielle Inszenierungsmechaniken des Mediums Films sträflich vernachlässigt.

Dass er diese Mechaniken teils virtuos beherrscht, wird bereits an der Eingangsszene deutlich: in ihr beginnen Gabelstapler, begleitet von klassischer Musik, durch die Gänge eines Großhandelsmarktes zu tanzen, und man fühlt sich an Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum erinnert, als vom Übergang des in die Luft geworfenen Knochens der Schnitt zum sich um seine Achse rotierenden Raumschiff gesetzt ist und in weiterer Folge ebenfalls ein mechanistisches Ballett zu klassischer Musik aufgeführt wird.

Die ersten darauf folgenden Charaktereinführungen des Films weisen eine starke Referenz zu der verschrobenen und lakonischen Inszenierung eines Aki Kaurismäki auf, und hier besinnt sich Stuber ebenfalls noch auf eine gewisse Form von Zeit-Raum, der dem Zuschauer gelassen wird, um Eindrücke eigenständig zu assoziieren.

In den folgenden Einstellungen versteht es der Regisseur anfangs auch noch, den Spielort eines Großhandelsmarktes optisch gekonnt in Szene zu setzen und zu nutzen, wenn er die Kamera teils über die in manchen Märkten sichtbaren Gitter-Metallstreben unter der eigentlichen Gebäudedecke verortet, und somit den Zuschauer in eine Vogelperspektive über den Gängen des Marktes versetzt, streng symmetrisch ausgerichtet nach der Linearität der Regalgänge.

Von all diesen Inszenierungsmechaniken verabschiedet sich Stuber jedoch noch einer gefühlten Viertelstunde, und zurück auf dem Boden des Großhandelsmarktes wird die ohnehin kleine Geschichte dann zusätzlich noch um arg rundgespülte Charaktere erzählt. Überlässt es Meyer dem Leser hier in seiner Kurzgeschichte, ein eigenes Bild in seiner Imagination zu entwickeln, traut sich Regisseur Stuber letztlich nicht, den Charakteren zumindest eine unbequeme Identität mit Ecken und Kanten zu zeichnen, wenn er dem Zuschauer schon nicht die Zeit zum assoziativen Mitgestalten in der eigenen Rezeption gibt. So wirkt die Geschichte dann fast notwendig zahm und ohne rechten Biss, und am Ende hat man doch eher das Gefühl, aus einem kleinen Fernsehspiel entlassen zu werden denn einen Film für das große Kino gesehen zu haben. Die Qualität und Tiefe, die Clemens Meyer generell mit seinen Geschichten zu erzeugen weiß und die zwischen den Zeilen liegt, findet sich leider nicht in den Gängen Thomas Stubers.

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3 Tage von Quiberon: Geschichte und Stil wirken in „3 Tage von Quiberon“ von Emily Adef stimmig zusammen. (Foto: Berlinale 2018)

Erfreulicherweise kann dafür eine weitere deutsche Produktion, 3 Tage von Quiberon von Emily Adef, nahezu uneingeschränkt überzeugen. Auch wenn das Format sicherlich zu konventionell war, um ernste Chancen im Wettbewerb zu haben, so wirkten hier Geschichte und Stil stimmig zusammen, so dass ein unabhängig vom Festivalzirkus in jedem Fall sehenswerter Film entstanden ist.

Die Geschichte kreist um einen Zeitraum von drei Tagen im Kurort Quiberon, wo die weltbekannte Romy Schneider sich 1981 aufhält und der Zeitschrift „Stern“ ein aufsehenerregendes Interview gibt. Neben dem teils eindrucksvoll überzeugenden Schauspiel von Marie Bäumer als Romy Schneider muss ebenfalls nachdrücklich das Spiel von Robert Gwisdek (auch bekannt unter dem Musik-Pseudonym Käptn Peng) gelobt werden. Die Rolle des schnoddrigen und anfangs rücksichtslosen „Stern“-Journalisten hilft in besonderem Maße nachzuvollziehen, welchem gesellschaftlichen Druck Schneider in Deutschland ausgesetzt war. Weitere bekannte Namen wie Charlie Hübner und Birgit Minichmayr komplettieren das Ensemble, doch die vorher genannten Akteure sind wesentlich für die Stimmigkeit des Films. Gedreht wurde in Schwarz-Weiß, in Anlehnung an die während des Stern-Interviews entstandenen Fotos, was zusätzlich eine besondere und intensive Stimmung erzeugt.

Dokumentarisches Panorama

Wie bereits eingangs aufgezeigt, hat die Sektion Panorama spannende Dokumentationen versprochen, von denen jedoch viele nach Sichtung bei Weitem nicht den Erwartungen gerecht werden konnten. Dennoch soll der Blick auf zwei Dokumentarfilme gelenkt werden, die durchaus bestechen konnten, wenn auch in erster Linie durch das geschaffene Bildmaterial, und die realistische Chancen auf einen Filmstart in den Leipziger Kinos haben sollten.

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When The War Comes: Jan Gebert begleitet in „Az Prijde Valka“ („When The War Comes“) auf beklemmende Weise die nationalistische Jugendgruppe „Slovenskí Branci“ in der Slowakei. (Foto: Berlinale 2018)

So setzt Jan Gebert sich in seinem Dokumentarfilm Az Prijde Valka (When The War Comes) auf eingehend beklemmende Weise mit der Entwicklung nationaler Bestrebungen in Europa auseinander, insbesondere im Osten der Union. Der Regisseur begleitet hierfür die nationalistische Jugendgruppe „Slovenskí Branci“ (slowakische Rekruten) in der Slowakei, die selbstorganisiert paramilitärische Trainings absolviert und sich nach eigener Aussage hiermit auf die Verteidigung der Heimat vorbereitet. Besondere Aufmerksamkeit wird immer wieder auf den Initiator der Gruppe gelenkt, Peter Švrček, einem 19-Jährigen, der zu Beginn des Films noch beim Abschluss seiner letzten Schulprüfungen gezeigt wird. Anhand dieser Leitfigur werden im Laufe des Films immer wieder inhaltliche Widersprüche aufgezeigt zwischen dem nach außen geäußerten vermeintlich ungefährlichen Grundkanon der Bewegung und der eigentlichen inneren nationalistischen und fremdenfeindlichen Einstellungen ihrer Mitglieder. Gepaart werden diese Elemente mit Aufnahmen aus den militärischen Vorbereitungscamps, die diese Jugendlichen freiwillig durchlaufen und in denen sie sowohl physisch als auch vor allem psychisch gedrillt werden.

Das über drei Jahre entstandene Bildmaterial spricht bei Az Prijde Valka (When The War Comes) hinsichtlich der gewünschten Wirkung für sich. Es ist ein wenig bedauerlich, dass der Regisseur es sich dennoch nicht nehmen lässt, zusätzlich vereinzelt bedrohliche Audiospuren unter das bereits gegebene Material zu legen. Die Bedrohung ist sowohl im Gezeigten als auch Gesagten mehr als offensichtlich, und die Selbstverständlichkeit, mit der bereits junge Menschen sich in dieser Form selbstständig zu organisieren beginnen, verweist auf eine Zukunft, von der nicht klar ist, inwieweit die Gesellschaft sich ihrer tatsächlich bewusst ist. Ein weiterer unmissverständlicher Hinweis hierfür ist wohl der Sachverhalt, dass die Filmemacher sich entschieden haben, einen für März geplanten Filmstart in der Slowakei vorerst zu verschieben, da die Befürchtung im Raum stand, dass der Film als Werbung für dargestellte Jugendbewegung dienen könnte, deren Führer mittlerweile auch politische Ambitionen an den Tag legt.

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M.I.A.: Ebenfalls den Gang ins Kino wert: „Matangi/Maya/M.I.A.“ von Steve Loverdige, der das Pop-Phänomen M.I.A. ausleuchtet. (Foto: Berlinale 2018)

Eine weitere grundsätzliche Empfehlung ist der Dokumentarfilm Matangi/Maya/M.I.A.. Er dreht sich um die Sängerin Mathangi Arulpragasam, die hinter dem globalen Pop-Phänomen M.I.A. steht, und ordnet die Impulse für ihr Schaffen auf informative Weise innerhalb ihrer Biografie ein. Von besonderem Wert ist hierfür das umfangreiche und in großen Teilen selbstgedrehte Archivmaterial, das die Sängerin dem Regisseur Steve Loveridge aus Kindheit und vor allem Jugend bereitgestellt hat.

Steve Loveridge, der mit Mathangi „Maya“ Arulpragasam vor Beginn ihrer musikalischen Karriere eine Londoner Kunsthochschule besucht hat und zu dieser Zeit auch persönlich mit ihr befreundet war, rückt ihr Wirken durch das gezeigte Material bis in die Gegenwart in ein verständliches und konsistentes Bild, welches tiefgreifend durch ihre Herkunft als Kind eines tamilischen Freiheitskämpfers auf Sri Lanka und ihre Kinder- und Jugendjahre in England geprägt ist.

Gleichwohl kommt man nicht umhin, darauf hinweisen zu müssen, dass gerade die spätere Biografie von M.I.A. neben ihrer künstlerischen Arbeit in dem Film nur indirekt thematisiert wird. Insbesondere die Beziehung zu ihrem Sohn und seinem Vater Benjamin Bronfman, dem Spross einer amerikanischen Milliardärsfamilie, wird nicht näher beleuchtet, sodass hier in der zweiten Hälfte ein teils seltsam vages Bild hinsichtlich ihres privaten Lebens entsteht, das nur durch entsprechendes Vorwissen oder Nachlektüre Sinn ergibt. Diese Entwicklung ist sicherlich auch zumindest in Teilen der restriktiven Einstellung der Hauptprotagonistin geschuldet, die in Folge ihrer Popularität auf allen erdenklichen Ebenen Kritik ausgesetzt war, und dem Spagat zwischen politischer Wirkung ihrer Arbeit und Privatleben. Zwei Seiten, die in diesem Fall in besonderer Weise miteinander verschränkt sind, wie der Film zeigt. Dennoch gewinnt ihr künstlerischer Werdegang durch die vorliegende Dokumentation eine Tiefe, die durch die allgemeine Berichterstattung letztlich nur unzureichend erreicht worden ist. Die Einblicke in Kindheit, Jugend und ersten aktiven Kontakt mit der politischen und familiären Situation in Sri Lanka erlauben eine Unmittelbarkeit im Verständnis ihrer Musik, die dem geneigten Zuschauer trotz der benannten Lücken sehr ans Herz zu legen ist.

Im Zeichen des Hundes

Wie der Zufall es wollte, begann einen Tag nach dem offiziellen Festivalstart im chinesischen Kalender das Jahr des Hundes. Dies ist sicherlich nicht nur treffend hinsichtlich des bereits beschriebenen Berlinale-Eröffnungsfilms Atari – Isle of Dogs, sondern lädt auch dazu ein, Wünsche und Hoffnungen zu artikulieren hinsichtlich der nun startenden Festivalvorbereitung für das kommende Jahr und auch darüber hinaus. Und so wünscht man der Berlinale für die Zukunft, dass Kreativität und Beharrlichkeit, wesentliche Merkmale der Horoskop-Figur, eine konstruktive Allianz finden werden.

Bestehendes zu bewahren, insbesondere den Status als großes Besucher-Filmfestival, und sicherlich auch die Position als Filmmarkt, die der bisherige Direktor Kosslick in den vergangenen Jahren erfolgreich erarbeitet hat. Und gleichzeitig einen kuratorischen Neuanfang wagen und eine inhaltliche Spannung zurück in das Festival bringen, die in den vergangenen Jahren zunehmend schmerzlich vermisst worden ist. Der bereits mehrfach von verschiedenen Seiten artikulierte Vorschlag einer zweiköpfigen Führungsspitze mit entsprechender Aufgabenteilung ist hier sicherlich eine durchaus pragmatische wie vernünftige Lösung, die zudem auch bei anderen Festivals erfolgreich praktiziert wird. Auf eine hoffnungsvolle Zukunft, in der der Bär (nicht) auf den Hund kommt.

68. Internationale Filmfestspiele Berlin

15. bis 25. Februar 2018


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