„Den Schaden sehen wir eher in der Leipziger Kunstszene“

Das Kulturinterview, Folge 3: Benedikt Demmer, Mitorganisatior der Kunsthalle.Ost, über Click and Meet, Like-Müdigkeit und die Gefahr von Pandemienpopulismus.

Riebeckstraße 19: Unscheinbar doch offenbar, liegt sie da: die Kunsthalle.Ost (Foto: Hannes Uhlenhaut).

Wie geht es nach der Verlängerung des Kultur-Lockdowns weiter mit Bühnen, Kinos, Galerien, Ausstellungen, Lesungen und Konzerten? Mit welchen Ideen und Konzepten passen sich Leipzigs Kulturschaffende an die Corona-Maßnamen an? Und welche Kraft steckt noch in ihnen nach den monatelangen Durststrecken? In unserer Reihe „Das Kulturinterview“ fragen wir Kulturschaffende in Leipzig, was sie zurzeit bewegt. Diesmal: Benedikt Demmer, Mitorganisator der Kunsthalle.Ost in der Riebeckstraße.


Leipzig-Almanach: Zwar konnten zwischenzeitlich die Museen in Sachsen wieder öffnen, nach einem Inzidenzwert jenseits von 100 sind die Ausstellungshäuser jedoch mittlerweile wieder mit Schließungen konfrontiert: Wie ist der aktuelle Stand bei euch?

Benedikt Demmer: Wir führen unsere Ausstellungen im Grunde wie geplant durch. Vor der Pandemie hatten wir jeden Freitag geöffnet, ansonsten gab es Termine nach Absprache, die das Angebot ergänzten. Unsere Umstellung mit dem Wegfall des Freitags ist also erst mal nur gering, da wir eigentlich schon vor dem zweiten Lockdown mit dem System „Click and Meet” angefangen haben. Die Umsetzung unseres Hygienekonzeptes ist aufgrund der Größe des Raumes kein Problem – ein Haushalt ohne eine Aufsichtsperson.

Die letzten Ausstellungen fanden leider nur digital, ohne eine Eröffnung statt. Auch wenn dadurch ein wichtiger Teil der Präsentation verloren geht, sind wir mit der Umsetzung und der Resonanz auf unser Konzept zufrieden. Die aktuell geltenden Bestimmungen für Galerien und Ausstellungsräume seit Montag mit “Click and Meet” und Vorlage eines negativen Schnelltests sind momentan alternativlos, aber praktikabel. Dennoch wird sich zeigen, ob diese Lösung vom Publikum angenommen wird oder nicht. Unser Programm für 2021 wird inhaltlich wie geplant stattfinden und wir sind gerade dabei, das Programm für 2022 festzuzurren.

Was war für euer Team im zweiten Lockdown möglich? Gab es digitale Angebote? Wie sahen sie aus?

Obwohl wir im ersten Lockdown alle Ausstellungen canceln mussten, konnten wir im Sommer 2020 zu einem beinahe regulären Ausstellungsbetrieb zurückkehren. Als Reaktion darauf entschlossen wir uns dazu, unser Programm während des zweiten Lockdowns stärker in den digitalen Raum zu verlegen. In dieser Zeit hat sich eine intensive Zusammenarbeit mit dem Fotografen Felix Brenner entwickelt, die sich als sehr produktiv und bereichernd erwiesen hat. Unabhängig von den Schließungen war und ist uns die Dokumentation unserer Ausstellungen in den sozialen Medien extrem wichtig und wird von uns stetig verfeinert und weiter ausgebaut. 

Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Ausstellungen ist unsere Außenwand, die bei jeder Ausstellung bespielt wird. Diese dient nicht nur als Informationsträger, sondern zeigt oft eigens dafür konzipierte Arbeiten der eingeladenen Künstler:innen. Dadurch ist es uns auch während der Pandemie von Anfang an möglich gewesen, trotz Schließung im öffentlichen Raum unmittelbar präsent zu bleiben.

Blick in die Ausstellung „Witness the Fitness“, by Wilhelm Frederking (Foto: Arne Gross).

Wie stark hat die Kunsthalle Ost seit Anfang November 2020 (Beginn des 2. Lockdowns) gelitten, und welche Spuren werden voraussichtlich bleiben?

Das ist für uns schwer zu sagen. Wir haben das Glück, dass wir wirtschaftlich unabhängig sind. Wir betreiben die Kunsthalle.Ost ehrenamtlich und daran hängen keine Existenzen. Den Schaden sehen wir eher in der Leipziger Kunstszene. Durch das Fehlen von öffentlichen Ausstellungen, Vernissagen und Finissagen leidet der Austausch und die Vernetzung der Beteiligten. Dieser Austausch war einer der Hauptgründe für uns, die Kunsthalle.Ost ins Leben zu rufen. Wir können schwer einschätzen, welche Reichweite unser Arbeiten hat. Wir alle vermissen den direkten Kontakt mit Besucher:innen, denn auf Dauer ist es schon frustrierend, wenn das einzige Feedback Likes und Emojis sind.

Im Dezember hatte das Team der Kunsthalle eine Gruppenausstellung der Mitglieder geplant, die schlussendlich leider ganz ohne Publikum stattfand. Damit war geplant, die Anonymität zwischen uns als Betreibern und den Besucher:innen aufzuheben. Das wäre ein toller Jahresabschluss nach einem komplizierten Jahr gewesen.

Gab es die Möglichkeit finanzieller Hilfen und, falls ja, was taugen sie? Wie beurteilt ihr das Antragsprozedere?

Neben einem Eigenanteil, den wir privat tragen, finanziert sich die Kunsthalle.Ost durch Fördermittel des Kulturamtes der Stadt Leipzig und seit Anfang 2021 zusätzlich durch Gelder der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Aufgrund dessen waren wir glücklicherweise nicht auf finanzielle Soforthilfen angewiesen. Aus dieser glücklichen Situation heraus können wir unseren Betrieb weiter durchführen und auch für die Zukunft planen.

Sieht sich die Kunsthalle Ost mit bleibenden Schäden und Folgen konfrontiert? Was, glaubt ihr, sollte politisch geschehen, um dem vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken?

Bleibende Schäden lassen sich nur erahnen. Seit unserer Gründung konnten wir einen stetigen Zuwachs an Besucher:innen verzeichnen, ob in dieser sowieso recht schnelllebigen Zeit die Pandemie darauf langfristig Einfluss nimmt, wird sich erst noch zeigen. Bislang hat uns die zweite Welle nicht sonderlich weit zurückgeworfen. Ich vermute, andere Galerien und Ausstellungsräume haben da viel existenziellere Probleme.

Aus unserer Perspektive wird auf politischer Ebene alles versucht, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Dass dabei gravierende Probleme zutage treten, beobachten wir mit Sorgen. Gerade die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ländern und Bund und der daraus resultierende reaktive Kurs der Regierung, der für die Bevölkerung immer schwerer nachvollziehbar wird, bietet Populisten einen geeigneten Nährboden für ihren Aufstieg. Sollten durch diese Krise reaktionäre Kräfte noch stärker in Regierungsverantwortung kommen, dann hätte das dramatische Auswirkungen für die kulturelle Diversität in unserem Land.

In diesem Sinn sind wir entschieden dafür, dass – sollte ein harter Lockdown notwendig sein – wir diesen voll und ganz mittragen würden.

Worauf hofft ihr noch 2021? Wie und womit plant und rechnet ihr? Möchtet ihr einen Ausblick auf 2022 wagen?

Vermutlich werden die nächsten Ausstellungen in einem ähnlich reduzierten Rahmen ablaufen. Wir hoffen alle darauf, endlich wieder Ausstellungen mit gewohnt freien Abläufen und Austauschmöglichkeiten machen zu können, sodass alle Beteiligten das gewünschte Feedback und die verdiente Anerkennung erhalten. 

Im Mai sind wir neben zahlreichen anderen Ausstellungsräumen aus dem Leipziger Osten Teil des Festivals ART GOES EAST, organisiert vom Pöge-Haus. Für August planen wir eine größere Gruppenausstellung, deren Konzept sich jedoch nur sehr schwer in den digitalen Raum übertragen ließe – mit dem letzten Sommer im Blick und optimistischen Gedanken sind wir jedoch recht zuversichtlich, dass diese und weitere Veranstaltungen für die Öffentlichkeit wieder frei zugänglich sein werden.

2022 ist gerade in Planung. Zumindest das grundlegende Konzept wird mit großer Wahrscheinlichkeit beibehalten: Geplant sind zwei Sonderformate, zwei reduzierte Ausstellungen mit Schwerpunkt auf der Plakatwand und circa sechs reguläre Ausstellungen – inhaltlich wollen wir aber natürlich noch nichts verraten.

Kunsthalle Ost: https://www.instagram.com/kunsthalle.ost/

Die Fragen stellte Philipp Köhler.

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