Der Ton macht die Musik

Büchersonntag, Folge 18: Mit ihrem dritten Buch zeigt Rafia Zakaria dem westlichen Mainstream-Feminismus, wie arrogant dieser ist. Das hätte man auch versöhnlicher tun können.

Rafia Zakaria wuchs in Karatschi auf und lebt heute in Pakistan und den USA. Sie ist Autorin, Anwältin und Aktivistin. Sie setzt sich weltweit für Menschenrechte ein. Von 2009 bis 2014 war sie Teil des Aufsichtsrates von Amnesty International USA. Sie schreibt unter anderem für den „Guardian“ und die „New York Times“, „Al Jazeera“ und den pakistanischen „Dawn“. Mit 17 Jahren wurde sie zu einer arrangierten Ehe mit einem gewalttätigen pakistanisch-amerikanischen Mann gezwungen, vor dem sie mit ihrem Kind floh. Sie verbrachte mehrere Monate in einem Frauenhaus und bekam Unterstützung von vor allem farbigen Frauen. Schließlich bekam sie die Chance, Jura zu studieren und erwarb sogar einen Postgraduiertenabschluss in politischer Philosophie.

Vor dieser Lebensgeschichte entstand 2021 Zakarias drittes Buch Against White Feminism. Wie Weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert. Das Buch basiert auf den persönlichen Erfahrungen von Zakaria. Dementsprechend emotional ist es geschrieben. Die Autorin verwebt das eigene Leben allerdings auch mit historischen Beispielen. Ihre Kritik am sogenannten weißen Feminismus muss daher aus der Warte der farbigen unterprivilegierten Frau verstanden werden. Für diese erscheinen bestimmte Spielarten des geschichtlichen und gegenwärtigen Feminismus als zynisch, ja geradezu verräterisch. Denn das, was nach Zakaria weißen Feminismus ausmacht, ist das Ausblenden farbiger Frauen. Dadurch entsteht eine Schieflage der Reflexion auf das Ziel des Feminismus, behauptet die Autorin: Weil weißer Feminismus farbige Frauen marginalisiere, verhielten sich Weiße gegenüber Farbigen wie Männer gegenüber Frauen, nämlich patriarchal, überheblich, ethnozentristisch, als Konkurrentinnen und ausbeuterisch. Doch wie weit trägt diese Analogie?

Kolonialismus und Feminismus

Weiße, wohlhabende, oftmals akademisch gebildete Frauen bestimmen nach Zakaria, was der Feminismus und seine politischen Ziele seien. Schwarze Frauen hingegen kommen nur als Opfer vor, die in Frauenhäusern kauern oder in Fabriken schuften. Dass sie selbst politische Ziele haben könnten, die sich von denen weißer Frauen auch noch unterscheiden, käme manchen weißen Feministinnen nicht in den Sinn. Die Autorin zeigt daher an etlichen negativen Beispielen auf, wie sich der Fortschrittsimpuls des Feminismus durch seine Beschränkung auf ein westliches Fortschrittsdogma zum Teil in sein Gegenteil verkehrt – zumindest aber unterminiert wird. En passant legt die Autorin eine Entwicklungsgeschichte des Feminismus vor. Im Abschnitt über die unheilige Allianz von Feminismus mit dem Kolonialismus zeigt Zakaria auf, wie z.B. britische Frauen mit ihrer vermeintlichen kulturellen Überlegenheit ihre Form des Feminismus mit in die Kolonien transferierten. Die Autorin spricht vom „weißen feministischen Retterkomplex“, der die unangenehme Tendenz hatte, für die „kolonisierten Schwestern“ zu sprechen, statt diese selbst zu Wort kommen zu lassen. Eine Parallele dazu findet sie 2021, über 100 Jahre danach, im amerikanischen Narrativ von Krieg und Besatzung als unerlässlichen Voraussetzungen für die Befreiung afghanischer Frauen oder auch in der Behinderung der Gender Empowerment Debatte.

Auf 250 Seiten schreibt Zakaria an gegen Verletzungen, Arroganz, mangelnde Selbstreflexion und rudimentäres Einfühlungsvermögen. Die meisten Kapitel konzentrieren sich auf Themen wie sexuelle Befreiung und häusliche Gewalt. Der Text klärt über die Geschichte des Feminismus auf, ist kritisch und provokant. Aber manchmal schießt er auch über das Ziel hinaus, etwa wenn es um die Analogie von (orientalischen) Ehren-Morden und (okzidentalen) Ego-Morden geht oder über die Verteidigung der weiblichen Genitalbeschneidung. An diesen Stellen fragt man sich, ob die Querulantin mit ihrem zum Teil wütendem Kläffen, das ohne Frage verständlich ist, nicht selbst nur mediale Aufmerksamkeit will. Es verwundert daher stark, dass sich diese Wut am Ende des Buches quasi in Luft auflöst. Stattdessen werden versöhnliche Töne angeschlagen und auf das gemeinsame feministische Projekt verwiesen, das bis dahin so gar keine Rolle im Buch spielte. Manchmal hilft schreiben offenbar, Traumata zu verarbeiten.

Lücken im Text

Natürlich lässt sich von einem Buch allein nicht erwarten, dass es den gesamten Feminismus revolutioniert oder alle Aspekte umfasst, die kritisch in den Blick zu nehmen wären. Zakarias Buch ist daher auch nicht als eine Untersuchung im wissenschaftliche Sinne misszuverstehen, sondern bleibt auf dem Boden des Journalismus, der Dinge vereinfacht und pointiert zur Darstellung bringt. Deswegen findet man im Buch auch keine Fußnoten, sondern nur Literaturverweise. Weil sich die Autorin sehr stark auf die Themen Rasse und Geschlecht konzentriert, geraten ihr Klasse und Ökonomie fast gänzlich aus dem Blick. Zwar werden wirtschaftliche Unsicherheit und Abhängigkeiten im Buch erwähnt. Interessant wäre aber schon gewesen, wie farbige Frauen selbst den weißen Feminismus mit aufrechterhalten, insbesondere wenn sie dies aus einer Position der finanziellen Sicherheit heraus tun, wie Marina Manoukian im Online-Kunstmagazin „The arts fuce“ zu Recht einfordert. Mit ihr kann man fragen: Für wen ist dieses Buch eigentlich geschrieben? Wem dient es? Was lernt man daraus?

Sicher lernt man daraus eine ganze Menge, schon weil allein der Perspektivwechsel von „weiß“ auf „farbig“ Dinge zutage bringt, die vorher tatsächlich ein Balken im Auge waren. Insofern bewirkt die Autorin mit ihrem Buch, wenn man es denn zu Ende liest und nicht vorher vor Empörung in die Ecke wirft, ein Umdenken. Sicher ist mit Zakarias Buch noch nicht das letzte Wort über den Feminismus gesprochen. Wie könnte das auch sein, agiert sie doch selbst noch weitestgehend im binären Freund-Feind-Schema. Darüber hinaus subsumiert sie alles Weiße unter das Männliche als das falsche Prinzip, das es zu bekämpfen gilt. Aber ist nicht schon das Gegen-etwas- statt Für-etwas-sein nicht die eigentliche logische Crux des Feminismus? Das Ausspielen einer Frauengruppe gegen eine andere kann nicht zum Ziel führen, so sehr diese auch bisher nicht beachtet wurde.

Fazit: Der Ton macht die Musik

Ist das Buch von Rafia Zakaria wirklich eine Einladung, wie Ruth Etiesit Samuel in der „Los Angeles Times“ schreibt? Zunächst war es das für mich nicht, denn ich mag es nicht, von der ersten Seite an angegriffen und belehrt zu werden. Da geht es anderen sicher ähnlich. Ich legte das Buch mehrfach aus verletztem Stolz weg. Nachdem sich mein Groll wieder gelegt hatte, nahm ich es wieder in die Hand. Immerhin hatte ich einer Freundin versprochen, eine Kritik dazu abzugeben, also musste ich es auch durchlesen. Und nach wie vor frage ich mich: Muss man den weißen Feminismus abcanceln, um die Notwendigkeit eines schwarzen Feminismus zu betonen? Muss man Weißsein wie ein Schimpfwort gebrauchen und damit alle weißen Feministinnen in einen Sack stecken mit „alten weißen Männern“, die gegenwärtig in der feministischen Debatte als Feind indentifiziert sind, weil sie als die Wurzel des patriarchalischen Übels gelten?

Inzwischen sehe ich ein, dass etwas dran ist an Zakarias Wahrnehmung. Die theorielastigen feministischen Debatten der letzten Jahre haben nur noch wenig mit dem zu tun, was mich früher angetrieben hat, für mehr Gleichberechtigung einzutreten. Insofern verwundert es nicht, dass schon die Themen der neueren Debatten wie Ausschlusskriterien fungieren. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es weniger um die prekären Beschäftigungsverhältnisse von farbigen Frauen als um das Nach-vorn-Bringen von privilegierten weißen Frauen geht. Doch der Ton macht die Musik: Wäre das Buch nur ein wenig wohlwollender, weniger vorurteilsbelastet und vorverurteilend, weniger reduktionistisch geraten, hätte es die weiße Leser:in zugeneigter gemacht. So aber bleibt das Buch oft nur ein Umsichbeißen und kein solidarischer Händeschlag mit der feministischen Tradition. Mit ihrer Entzweiungspolitik hat sie dem feministischen Kampf leider keinen Gefallen getan. Schade eigentlich.

Rafia Zakaria: Against White Feminism. Wie Weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert

Hanserblau 2021

252 Seiten

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