In immer gleicher dumpfer Pose

Lina Nordquists literarisches Debüt „Mein Herz ist eine Krähe“ weckt Trauer und Empathie, ist aber nicht empfehlenswert

Lina Nordquist ist 1977 in Narrala geboren. Sie ist Schriftstellerin, Professorin für Physiologie, Diabetesforscherin und Politikerin, seit 2018 im schwedischen Parlament. Aufgewachsen in Hälsingland, lebt sie in Uppsala. Mein Herz ist eine Krähe ist ihr Debütroman, „Buch des Jahres“ in Schweden.

Der Übersetzer heißt Stefan Pluschkat. 1982 in Essex geboren, studierte er Komparatistik und Philosophie in Bochum und Göteborg, übersetzte aus dem Schwedischen und Norwegischen Kinderbücher und Sachbücher. 2018 erhielt er den Hamburger Förderpreis für Übersetzung. Für uns denken und reden die handelnden Personen auf deutsch. Der Übersetzer betreut auch das Raunen und den Singsang des sich verändernden Tonfalls. Im Jahr 2017 lag die vollständig und gründlich revidierte Lutherbibel vor. Es ist angemerkt, dass einige Wörter getilgt wurden, weil sie ohnehin niemand mehr versteht, die Vokabel „Wehmutter“ gehört dazu, sie wird durch das verständlichere „Hebamme“ ersetzt. Wer weiß schon, welche Worte wie lange leben?

Lina Nordquist (Foto: Ola Hedin)

Die Phantasie des Romans wiegt schwerer als kirchliche und sicher durchdachte Revision. Die Protagonistin Unni erbte den Hebammenkoffer und diverse Utensilien ihrer Wehmutter Brita, die auch ihre leibliche Mutter war. Sie half den Frauen, weiß um die Kräfte der Kräuter, ist aber noch ein Kind, auch Mutterkorn steht ihr zur Verfügung, sie gibt freizügig davon. Bald soll sie weggebracht werden, in die geschlossene Psychiatrie, ins Heim Tronka.

Es beginnt die Flucht einer jungen Frau von Norwegen nach Schweden. Sie will nicht von den Leuten gelyncht werden, muss weg. Armod ist immer bei ihr und das Kind Roar. Ihr Begleiter ist zäher, als sie von dem Vagabunden jemals vermutet hätte. Ihre Sehnsucht gilt einem leerstehenden Haus, das weit weg im Unbekannten stehen soll. Nach langem Fußmarsch, der von Norwegen bis Schweden führt, finden sie eine leerstehende Hütte, die sie „Frieden“ nennen.

Hütte wird zur Zuflucht

Das neue Leben bedeutet harte Arbeit, die abgelegene Hütte soll abgearbeitet werden. Es gibt einen Kontrakt mit dem Waldbauern, wegen ihrer Armut müssen sie sich ringsum auf fremden Höfen verdingen. Roar, der kleine Bo und das Mädchen Tone Alie wollen essen. Nicht nur die Kinder haben Hunger. Der Wald gibt ihnen freizügig seine Gaben, aber es reicht nicht, auch wenn sie einmal einen Bären fangen und das Fleisch essen können. Nach Armods tödlichem Unfall gerät Unni an Dag, der sie wie einen Gebrauchsgegenstand benutzt. Er misst sie am Essen, mit ihm kann sie nicht reden, er verliert darüber hinaus auch das sexuelle Interesse an ihr. Von ihrer Schwiegertochter Bricken fühlt sie sich beobachtet und belauert.

Alles wird wie unter einem Schleier mitgeteilt, das Bewusstsein der Protagonistin ist getrübt. Sie teilt selber mit, dass sie die Wahrheit nicht gern sagt. Roar leidet in späteren Jahren an Demenz, er erkennt die einfachsten Dinge nicht mehr, hat auch die Geschichte um das Haus Frieden längst vergessen. Sie lauern ihm auf, er kommt mit dem Gewehr aus dem Wald. Diesmal hat sie Glück, muss nicht schuldig werden. Eine Sprosse der Leiter bricht zufällig, er stürzt und ist sofort tot.

Zwischen Bewusstsein und Wahn

In all der Trauer hat Unni am Saum zwischen Bewusstsein und Wahn die subjektive Vision eines Hundes; sieht einen Owtscharka, das ist russisch oder tscherkessisch und heißt „Hirtenhund“. In den letzten Jahren ist viel Betrieb im Frieden, ihre Schwester kommt zu Besuch. Diese ist mit einem reichen Großhändler verheiratet. Die Geschwister haben sich nicht mehr viel zu sagen, dafür redet diese mit Bricken. Unni bereitet zum Abschied ein giftiges Pilzragout vor, das sie ihr als mögliche Speise anbietet, denn Bricken ist krank und sie liebt sie.

Sie verlässt das Haus. Niemand wird sie kommentieren, sie will für niemanden verantwortlich sein. Der Bus tuckelt, die Nordlichter flimmern am Himmel. Relativ nebenbei erfahren wir im Roman, dass die Protagonistin regelmäßig vergewaltigt wurde, als junges Mädchen vom Pfarrer, bei dem sie in Stellung war, und später vom Waldbauern, der außerdem ihr Kind grob misshandelte.

Das harte Schicksal dauert uns, wir haben für die Protagonistin Sympathie, die uns nahezu alles verzeihen lässt, was wir bei einem normalen Menschen niemals hinnehmen würden. Unni ist überfordert, verwirrt und krank, was uns die Autorin vielfach erzählt, wobei sie selbst diese psychische Überforderung spiegelt, auch Unstimmigkeiten und Ungereimtheiten in ihrer eigene Schilderung wiedergibt.

Die Lektüre des Buches ist so widersprüchlich, wie es die Protagonistin selbst ist. Darüber hinaus sind bei aller Dynamik mögliche Erzähltempi immer konstant. Unterschiedlichster Inhalt wird in gleich dumpfer Pose erzählt. Trotz Trauer und in mir erzeugter Empathie kann ich dieses Buch nicht empfehlen! Protagonistin und Autorin sind nahezu eine Wesenseinheit, der Roman boykottiert sich selbst!

Lina Nordquist: Mein Herz ist eine Krähe

Diogenes-Verlag 2023

464 Seiten

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